Mao und seine verlorenen Kinder by Dikötter Frank

Mao und seine verlorenen Kinder by Dikötter Frank

Autor:Dikötter, Frank [Dikötter, Frank]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783806235463
Herausgeber: WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


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Vorbereitungen für den Krieg

Nur spärlich mit Birken und buschigem Gestrüpp bewachsen, ist die Damanski-Insel keine zwei Kilometer lang und an der ausladendsten Stelle 800 Meter breit. Auf Chinesisch heißt sie Zhenbao, oder auch „Schatzinsel“, und sie liegt am Unterlauf des Ussuri, des Grenzflusses zwischen China und der Sowjetunion. Mandschurisches Rotwild, das sein rötliches Sommerfell verloren hatte, überquerte hin und wieder in nun bräunlichgrauem Fell den zugefrorenen Fluss. Die Insel war Zankapfel im Grenzkonflikt zwischen den beiden Staaten, der in unzähligen Zwischenfällen immer wieder aufflackerte, wenn Grenzpatrouillen, ausgerüstet mit weißen Winteruniformen, sich beispielsweise mit Bootshaken, Bärenspießen oder mit Nägeln versehenen Stangen gegenseitig attackierten. Mehrfach kam es vor, dass eine Reihe von Lastwagen auf der chinesischen Seite des Flusses auftauchte, Hunderte von Soldaten unter martialischer Musik aus Lautsprechern von den Autos absprangen und sich für einen Kampf aufwärmten.1

Bei diesen Zusammenstößen wurden keine schweren Waffen eingesetzt. Doch dies änderte sich, als im März 1969 die latente Anspannung sich gewalttätig entzündete. Am frühen Morgen des 2. März überquerten Dutzende bewaffneter Chinesen das Eis und besetzten die Damanski-Insel. Sie schossen aus kürzester Entfernung auf den Grenzposten auf der anderen Seite des Ussuri. Mörser der chinesischen Volksbefreiungsarmee nahmen Stellungen der Sowjets ins Visier. Das Kreuzfeuer dauerte mehrere Stunden, bis sowjetische Verstärkung erschien und Raketenwerfer in Stellung brachte, um die Angreifer zurückzuschlagen.

Zwei Wochen später, am 15. März, gerieten erneut Tausende von Soldaten auf Damanski aneinander. Dieses Mal waren die sowjetischen Truppen jedoch besser vorbereitet. Sie setzten Dutzende von Panzern und gepanzerte Fahrzeuge ein, um den Angriff aufzuhalten. Es gab Hunderte von Gefallenen.

Monatelang hatte China sich auf diese Schlacht vorbereitet, um die Initiative in diesem Grenzkonflikt wieder übernehmen zu können. Die gesamte Operation wurde vom Capital West Hotel in Beijing überwacht. Eine spezielle Telefonverbindung war zwischen dem Hotel und den Truppen am Ussuri aufgebaut worden. Zhou Enlai war es, der alle relevanten Entscheidungen traf. Nach der Schlacht vom 15. März griff jedoch der Vorsitzende ein: „Wir sollten es hiermit beenden. Hört auf zu kämpfen!“ Mao hatte sein Ziel bereits erreicht: Er hatte die Sowjetunion über seine Absicht in Kenntnis gesetzt und konnte den Zwischenfall nutzen, um zu Hause die Stimmung anzuheizen.2

Sobald die Konfrontationen vorüber waren, begann die Propagandamaschinerie für den Krieg zu trommeln: „Bereite dich auf den Krieg vor!“ wurde zum Motto der Stunde. Der Vorsitzende, niemals um eine Übertreibung verlegen, kündigte an, das Land solle sich bereit machen, „einen großen Krieg zu kämpfen, einen Krieg zu einem frühen Zeitpunkt und sogar einen nuklearen Krieg“.3

Zwei Wochen später wurde der lang erwartete IX. Parteitag in Beijing eröffnet. Endlich war der Vorsitzende Mao in der Lage, die Entscheidungen, die im September 1956 auf dem VIII. Parteitag gefällt worden waren, wieder rückgängig zu machen. Dreizehn Jahre zuvor hatten die Delegierten stillschweigend jede Bezugnahme auf die „Sozialistische Flutwelle“, Maos fehlgeschlagenen Versuch von 1955, das Land in die Kollektivierung zu drängen, fallen gelassen. Ein halbes Jahr nachdem Chruschtschow im Februar 1956 Stalin verurteilt hatte, hatten die Delegierten des VIII. Parteitags zudem alle Erwähnungen der Mao-Zedong-Ideen aus den Statuten gestrichen und dem Personenkult abgeschworen.

Der



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